Mit dem Sigma 1,4/105 mm DG HSM | Art hat Sigma ein Objektiv im Angebot, das zwei verschiedene Anforderungen erfüllt, die auf den ersten Blich gegensätzlich sind. Es bringt sowohl hervorragende Schärfe ins Bild – wie auch hervorragende Unschärfe. 

Als man bei Sigma begann, die Art-Serie zu entwickeln, stand top Abbildungsleistung an erster Stelle des Pflichtenheftes, und an zweiter Stelle auch. Kleine Abmessungen und geringes Gewicht kamen dann ganz weit hinten.

Sigma 1,4/105 mm | Art
Nicht nur bei ganz offener Blende, sondern auch bei Blende 4 bringt das 1,4/105 mm | Art eine sehr schöne, weiche Unschärfe im Hintergrund.

Dass der Anspruch nach Top-Leistung umgesetzt wurde sieht man, wenn man die Bilder, die man mit Art-Objektiven macht, anschaut, oder auch die Testergebnisse in Fotozeitschriften oder im Internet. Dass geringe Größe und Gewicht dagegen nicht wichtig sind, spürt man, wenn man Art-Objektive in die Hand nimmt und an die Kamera setzt.

Um Missverständnisse auszuschließen (es gab schon E-Mail-Anfragen): Es handelt sich bei diesem und den anderen Produktfotos um Bilder des Objektivs, das bei mir im Einsatz war und deswegen nicht mehr ganz taufrisch aussieht!

Aber selbst,  wenn man das alles im Hinterkopf hat, überrascht einen das Sigma 1,4/105 mm DG HSM | Art dann doch: Länge ab Auflage 132 mm ohne Streulichtblende, 172 mm mit Streulichtblende, größter Durchmesser 111 mm, Filterdurchmesser 105 mm, Gewicht 1670 g mit Stativring, 1550 g ohne Stativring. Anders ausgedrückt: Das Sigma 1,4/105 mm DG HSM | Art ist ein Brummer.

Das Gewicht wird zum einen von den teilweise sehr großen Glaslinsen verursacht. Die braucht man, um 105 mm Brennweite mit einer Lichtstärke von 1:1,4 zu kombinieren. (Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der optische Aufbau aus 17 Linsen in 12 Gruppen besteht und dass 3 Linsen aus FLD-Glas, 2 Linsen aus SLD-Glas und eine Asphäre zum Einsatz kommen.)  Auch der stabile Metalltubus trägt einen Teil zum Gewicht bei, und ein bisschen auch die Dichtungen gegen Staub und Spritzwasser, die dieses Art-Objektiv auf eine Stufe mit den Sports-Objektiven stellen sollen, die ja auf den harten Outdoor-Einsatz abgestimmt sind. Allerdings habe ich das nicht wirklich ausprobiert, sondern mich ein bisschen Frühnebelfeuchtigkeit zufrieden gegegeben. 

Dass ein Stativring mitgeliefert wird, ist lobenswert, denn würde man das Stativgewinde der Kamera verwenden, wäre die Einheit doch recht frontlastig. Dass der Fuß des Ringes gleich kompatibel zum Arca Swiss Kupplungssystem ist, ist ebenso lobenswert wie praktisch.

Wer mag, kann den Stativring abnehmen und die freie Stelle am Objektiv mit den Führungsstiften durch einen mitgelieferten Gummi-Zierrinf abdecken.

Allerdings stellte sich bei Aufnahmen nach dem Praxistest (in d-pixx 3/2018) heraus, dass ich das Objektiv für sehr viele Aufnahmen einfach so aus der freien Hand einsetzte. Als Gehäuse waren eine Canon EOS 5D Mark IV und dann auch eine Canon EOS R im Spiel, die EOS R natürlich mit Adapter. Beide Kombinationen lagen sehr gut in der Hand! (Apropos EOS R und Adapter: Einer der drei Adapter im EOS R-System ist mit einer Filterschublade ausgestattet und passt daher sehr gut zum 105er, denn dann kann man auf die riesigen Einschraubfilter, die nicht eben günstig sind, verzichten!)

Dass weder das Objektiv noch die beiden Gehäuse über Stabilisatoren verfügen, ist natürlich schade, aber nicht zu ändern. Hier spielen dann das Gewicht des Objektivs und die damit verbundene Trägheit der Masse eine positive Rolle.

Überhaupt nicht träge ist dagegen der Autofokus. Beide EOS Modelle sorgten für schnelle und präzise Scharfstellung und der HSM-Motor war bei der Arbeit nicht zu hören. Es kann  bis zu einer Entfernung von 1 m fokussiert werden.

Präzises Scharfstellen ist selbstverständlich immer wichtig, aber oft verschwinden kleine Ungenauigkeiten in der Schärfenzone. Diese Chance hat man nicht, wenn man das Sigma 1,4/105 mm DG HSM | Art bei Blende 1,4 oder Blende 2 einsetzt, vielleicht sogar aus einer geringen Entfernung. Da die Schärfenzone sehr, sehr schmal ist, muss die Schärfe sitzen – und das passte bei meinen Aufnahmen fast immer.

Sigma 1,4/105 mm | Art
Die feinen Strukturen im Blatt kommen bei Blende 2,8 sauber und scharf ins Bild – bis an den Bildrand. Dass das Blatt nicht überall scharf ist, liegt nicht am Objektiv, sondern an der leichten Wölbung des Blattes.
Dass die Blätter keine plane Oberfläche aufweisen, ist auch hier ein Problem. Andererseits bringt der größere Abstand eine etwas größere Schärfenzone mit sich, so dass eine Aufnahme mit Blende 1,4 gewagt werden konnte.

In diesem Zusammenhang muss man immer damit rechnen, dass eine kleine Bewegung zwischen Scharfstellen und Auslösen für ein unscharfes Bild sorgen kann. Von daher: Bildaufbau festlegen, scharfstellen, den dafür angetippten Auslöser wieder loslassen, alles kontrollieren und dann den Auslöser in einem Zug durchdrücken, damit Scharfstellung und Belichtung so gut wie gleichzeitig erfolgen.

Sigma 1,4/105 mm | Art
Um die ganz Augenpartie scharf ins Bild zu bekommen, wurde auf 2,8 abgeblendet …
Sigma 1,4/105 mm | Art
… während für die Spürnase, die Leckerli in Jacken- und Manteltaschen sicher aufspüren kann, Blende 1,4 in Ordnung war.

Eine sehr schmale Schärfenzone macht es einerseits möglich, den Teil des Motivs, auf den es ankommt, scharf hervorzuheben. Andererseits verschwimmt dann oft ein großer Teil des Motivs in der Unschärfe und die Bildwirkung hängt sehr davon ab, wie diese Unschärfe aussieht.

Allerdings spricht man nicht mehr von Unschärfe im Vorder- und Hintergrund, sondern vom „Bokeh“. Irgendwann war dieses Wort da und eroberte den Sprachgebrauch der Fotografinnen und Fotografen. Es  leitet sich vom japanischen Wort „boke“ ab, das mit „unscharf“, „verschwommen“ übersetzt werden kann.

Besonders bei lichtstarken Objektiven wird dem Bokeh große Aufmerksamkeit gewidmet – seitens der Anwender, aber auch schon seitens der Entwickler.

Beim Sigma 1,4/105 mm DG HSM Art ist es den Ingenieuren gelungen, einerseits Abbildungsfehler zu minimieren und dem Objektiv eine hervorragende Abbildungsleistung mit knackiger Schärfe in der Schärfenebene und innerhalb der Schärfenzone mit auf den Weg zu geben, andererseits aber dafür zu sorgen, dass die Schärfe sofort in eine samtige Unschärfe übergeht. Anders ausgedrückt: das Objektiv bringt ein wunderbares Bokeh ins Bild, das ihm den Beinamen “Bokeh-Meister” sichert. 

Wie die Ingenieure das geschafft haben? Asphärische Linsen spielen eine Rolle, wie auch die Irisblende, die eine runde Öffnung bildet.

Sigma 1,4/105 mm | Art
Wo im Hintergrund Licht durch Äste und Zweige fällt entstehen im Bild unscharfe Scheiben, die von der runden Blendenöffnung profitieren.

Das ist wichtig, da Lichtpunkte außerhalb der Schärfenebene als Scheibchen wiedergegeben werden, die die Form der Irisblende aufweisen. Und runde Unschärfescheibchen sehen viel besser aus als Fünf- oder Siebenecke.

Wenn von einem schönen Bokeh die Rede ist, denkt man unwillkürlich an Porträts in der ganzen Bandbreite, von der Konzentration auf das Gesicht bis zur Halb- und Ganzfigur. Mit seiner Brennweite von 105 mm an Vollformat passt das neue Sigma hier genau.

Für die meisten Porträts wird man das Objektiv aber nicht bei Blende 1,4 verwenden (was auch geht und auch Spaß macht), sondern man wird es um eine oder zwei Stufen abblenden, damit Nase und Augen oder Augen und Ohren in der Schärfenzone liegen. Die Schärfe wird dann auf die Augen gelegt – und wenn der Hintergrund ein paar Meter weit weg ist, kommt  er auch bei Blende 2,8 schön unscharf ins Bild.

Aber auch für Aufnahmen in der Natur ist ein schönes Bokeh eine wichtige Zutat zu einem Bild, das man ein bisschen länger anschaut. Blumen, Blüten oder Blätter bieten sich natürlich als Motive an – und der einzelne Baum in der Wiese kann durch die selektive Schärfe ebenfalls gewinnen.

Sigma 1,4/105 mm | Art
Die Schärfe wurde bei Blende 2 auf das vordere Gläschen gelegt. 

Andere Motive, für die sich das Sigma 1,4/105 mm bestens eignet: Stillleben,  Kinder (wenn man sie in der schmalen Schärfenzone halten kann) oder Tiere (wenn man sie in der schmalen Schärfenzone halten kann). Und dank der sehr selektiven Schärfe kann man oft auch Details aus einem großen Ganzen herauslösen, die sonst in einem dominanten Hintergrund untergehen.

Sigma 1,4/105 mm | Art
Auch bei Landschaftsaufnahmen macht das 1,4/105 mm eine gute Figur mit einer nur sehr leicht raffenden Wirkung.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Das 105er ist nicht nur bei den großen Blenden exzellent, sondern bis Blende 11 und es kann auch in der Landschafts- oder Archtitekturfotografie eingesetzt werden, wie man es von einem mittleren Teleobjektiv erwartet.

Kurz gesagt: Das Sigma 1,4/105 mm DG HSM | Art ist ein wuchtiges Objektiv, das knackige Schärfe und hohe Auflösung mit einem traumhaft weichen Bokeh zusammenbringt!

Das Objektiv kam bei mir an Canon EOS Modellen zum Einsatz und steht darüber hinaus auch mit Nikon F-Mount, Sigma SA-Mount und Sony E-Mount zur Verfügung.

 

Text und alle Bilder (c) Herbert Kaspar

 

7 Kommentare

  1. Vielen Dank die sehr ausführliche Review und für die Beispielbilder! Meines Erachtens hat das 105 mm f1.4 Art von Sigma seine Stärken ausgespielt und es ist auch für mich eine interessante Option. Ich finde es auch gut, dass die Gründe für das Gewicht erklärt worden sind. Ich fühle ich mich in meinem Gedanken, dass das Gewicht auch für das Innenleben spricht, bestätigt. Außerdem ist das meines Erachtens auch eine Ansichtssache. Ich mache mir prinzipiell keine Gedanken zum Thema und schaue er auf die Bildqualität sowie auf das Preis-Leistungsverhältnis.