Einfach mal nur mit einem Standardobjektiv loszuziehen, bringt einen zurück zu den Wurzeln des Fotohobbys – und das habe ich mit dem Lichtriesen Sigma 50mm F1,2 DG DN | Art gemacht.
Als ich in den frühen 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ins Fotohobby einstieg, tat ich das, wie wohl alle in dieser Zeit, mit einem 50-mm-Standardobjektiv. Das Objektiv der Praktica hatte Lichtstärke 1:1,8, das zur Yashica 1:1,9. Ein 1,4/50 mm war der Traum, von 1:1,2 wagte ich nicht einmal zu träumen.
Und auch jetzt noch, Jahrzehnte später, ist ein 1,2/50 mm ein Traumobjektiv für mich (gut: eines von mehreren, aber eben Traumobjektiv.)
Ist das nicht langweilig? Ausgerechnet 50 mm?
Auf keinen Fall.
Es ist zwar nicht richtig, dass man, wie man es immer wieder hört, mit einem 50er genau das aufnimmt, was man sieht. Wir sehen mit zwei nebeneinander liegenden Augen und tasten unsere Umwelt permanent ab, sodass ein 28er eher das zeigt, was wir wahrnehmen.
Richtig ist aber, dass ein 50er eine perspektivisch neutrale Abbildung liefert (wenn man das Bild aus dem richtigen Abstand betrachtet), also weder die steile Darstellung eines Weitwinkels, noch die raffende Darstellung eines Teleobjektivs.
Richtig ist auch, dass ein 50er sehr vielseitig einsetzbar ist und in fast allen Motivbereichen sinnvoll genutzt werden kann.
Und weiterhin richtig ist, dass das 50-mm-Standardobjektiv als Festbrennweite (und damit wie alle anderen Festbrennweiten auch) dazu zwingt, sich ein Motiv zu erlaufen, statt einfach am Zoomring zu drehen.
Wenn dann noch die sehr hohe Lichtstärke von 1:1,2 ins Spiel kommt, erschließt so ein Objektiv zum einen Aufnahmen unter schlechten Lichtverhältnissen mit moderaten ISO-Werten und ohne Stativ. Zum anderen macht es das Spiel mit selektiver Schärfe noch besser möglich als ein Objektiv mit Anfangsöffnung 1:1,8.
Das alles kam mir in den Sinn, als es um einen Ausflug nach Bamberg ging. Nachdem uns die Altstadt bei einem Besuch im Sommer ausnehmend gut gefallen hatte, wollten wir noch einmal dort bummeln und jahreszeitgemäß über den Weihnachtsmarkt schlendern. Weihnachtsmarkt am helllichten Tag kann auch ok sein – aber stimmungsvoller ist es ab Einbruch der Dämmerung und genau das wollten wir. Aber Weihnachtsmarkt mit einer für Langfinger verlockend vollen Fototasche? Lieber nur ein Gehäuse, ein Objektiv und für ein paar Aufnahmen mit verwischten Passanten noch ein Stativ.
Das führte dazu, dass ich das Sigma 50mm F1,2 DG |Art an die Sony A7R V setzte, das Rollei Easy Traveller XL in seine Tragetasche steckte und das alles ins Auto legte.
Das Stativ soll laut technischen Daten 10 kg tragen können und war damit definitiv unterfordert.
Die Sony A7R V ist zwar mit ihren 60 MPix ein Schwergewicht unter den Vollformatkameras, wiegt aber inkl. Akku und Speicherkarte, Tragegurt und Stativ-Schnellwechselplatte nur rund 900 g!
Dazu kommen rund 745 g des Sigma Lichtriesen, der einen Durchmesser vom 81 mm aufweist. Das ist natürlich einerseits schon recht ordentlich – andererseits aber für ein Objektiv dieser Klasse sehr gut. Eine größte Öffnung von 1:1,2 erzielt man bei einem Vollformatobjektiv nur mit großen Linsen.
Ohne Streulichtblende (wenn man es transportiert) ist das 50er 111 mm lang, mit Streulichtblende (also immer, wenn man fotografiert, denn ohne Streulichtblende fotografiert man nicht) sind es 161 mm. Sehr schön: Die Streulichtblende rastet fest ein.
Die Länge ändert sich beim Fokussieren nicht und auch die Ausrichtung der Frontfassung für 72-mm-Filter bleibt gleich.
Der gegen Staub und Spritzwasser abgedichtete Tubus ist Art-typisch schnörkellos geradlinig und die Zahl der Einstellelemente ist überschaubar.
Vorn liegt der breite Fokusring, der sich geschmeidig dreht – wenn man ihn mal braucht. Das ist (zumindest für mich) praktisch nie der Fall, denn das Objektiv mit seinen beiden AF-Linsengruppen und das AF-System der Sony A7R V arbeiten bestens zusammen: sehr sicher, sehr schnell, sehr leise sind die passenden Attribute. Fokus-Breathing fällt so gering aus, dass es nur bei sehr genauem Hinschauen auffällt.
Die kleinste Einstellentfernung ist 40 cm.
Hinten ist der Blendenring untergebracht. Er rastet sauber in Drittelstufen und kann für Blendenautomatik in der A-Position arretiert werden.
Alternativ kann man mit demselben Schalter die A-Position sperren, der Ring lässt sich dann nur bis zur kleinsten Blende 16 drehen.
Die Klickstopps lassen sich am Schalter links unten deaktivieren, was für Videoaufnahmen eher von Interesse ist als fürs Fotografieren.
Darüber sitzt die AF-L (Fokus-Lock)-Taste und über dieser der AF/MF-Umschalter.
Wirklich nur dieses eine Objektiv mitnehmen? Immerhin ist noch das extrem vielseitige Sigma 20-200mm F3,5-6,3 DG | Contemporary in der Redaktion, das gerade in New York beweisen konnte, was es kann (den Bericht finden Sie hier). Aber: Nein. Zurück zu den Wurzeln. 50 mm haben vor einem halben Jahrhundert gereicht und werden es auch jetzt!
Auf nach Bamberg!
HINWEIS Ein Klick auf eines der Praxisbilder bringt es mit einer Breite oder Höhe von 1800 Pixeln auf Ihren Bildschirm.
Na sowas. Auf der Strecke von Hammelburg bis Bamberg auf der Autobahn nur eine (in Zahlen: 1) Baustelle – an der Ausfahrt „Hallstadt“, von wo uns das Navi sicher zur Tiefgarage in der Geyerswörthstraße lotst.

Dort erregt der Handlauf der Treppe meine Aufmerksamkeit und ich die Aufmerksamkeit einer Tiefgaragen-Mitbenutzerin, weil ich ihn fotografiere.
Von dort führt der Weg an einer bemalten Sichtschutzwand entlang …

… zum Geyerswörthsteg.

Dort führt kein Weg daran vorbei: Das Rathaus über der Pegnitz muss fotografiert werden – aber nicht unbedingt so wie immer. Einige Äste im Vordergrund können nicht schaden.

Auch der Blick auf den Durchgang durch den Turm des alten Rathauses ist ein Muss, …

… was man von den drei Motorrollern zwar nicht behaupten kann … aber ich fotografiere sie trotzdem. Zuhause merke ich: Nicht richtig aufgepasst. Der Fokuspunkt liegt auf dem Rückspiegel des zweiten Rollers – besser wäre der Lenker des vorderen. Da kann noch nicht einmal KI in der Bildbearbeitung helfen.

Viele der kleinen Geschäfte auf dem Weg zum Dom sind adventlich geschmückt und fordern ein Bild.

Ob bei etwa 4 °C wirklich jemand draußen essen möchte? Die Tische vor einem Lokal sind auf jeden Fall gedeckt. Der – nun ja: zurückhaltende – Blumenschmuck lässt sich dank ganz offener Blende gut vom Hintergrund trennen.
Am Dom und am Domplatz mit der Neuen Residenz stoßen dann die 50 mm Brennweite an ihre Grenzen. Ich bekomme weder die Fassade des Doms noch den Platz in ein einziges Bild.

Panorama aus drei Aufnahmen

Panorama aus drei Aufnahmen
Abhilfe schaffen jeweils drei Aufnahmen, die ich von Photoshop zu einem vertikalen bzw. horizontalen zusammensetzen lassen.

Für einen Blick aus der Nähe passen die 50 mm dann wieder, ebenso drinnen im beeindruckenden Bau.

Der berühmte Bamberger Reiter aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts …

… der Blick zum Altar ….

… und eine kleine Spielerei mit selektiver Schärfe und schönen Unschärfescheibchen lassen sich realisieren.
Vom Domberg geht es hinunter an den linken Arm der Pegnitz, …

… über den der Blick auf die Fischerhäuser von Klein Venedig fällt.
Auf dem Weg zur Unteren Brücke fallen mir einige Motive auf, an denen Nicht-Fotofans achtlos vorbeigehen (die Dame aus Parkhaus wäre wohl wieder verwundert).


Auf dem weiteren Weg wartet Kaiserin Kunigunde vor dem Hintergrund der hellblauen Barockfassde des Hellerhauses …


… und der „Centurione I“, eine Skulptur von Igor Mitoraj, die an antike Formen erinnert, aber erst 1987 geschaffen wurde.
Inzwischen wird es dämmrig, die richtige Zeit für einen Besuch des Weihnachtsmarktes, überragt von der großen Pyramide.

Hier kommt auch das Stativ zum Einsatz, um Bewegung ins Bild zu holen …

Hier habe ich geschummelt: Der unfotogene linke Teil des Bildes wurde abgeschnitten und ein Kran und eine Stromleitung mit KI-Hilfe und manueller Nacharbeit entfernt!

… und zumindest einige der Besucher in Unschärfe verschwimmen zu lassen.
Ist dieser Effekt nicht erwünscht, kommt man mit ganz offener Blende oder minimal abgeblendet auf kurze Verschlusszeiten …



… und kann locker aus der freien Hand scharfe Bilder machen.

Mit einem Blick aufs jetzt beleuchtete alte Rathaus schließt sich der Kreis.
Fazit Der Praxistest des Sigma 50mm F1,2 DG DN | Art liegt nun auch schon gut anderthalb Jahre zurück (er erschien in d-pixx foto 2/2024) und basierte auf Aufnahmen mit einer Sony A7 IV und Sony A7 II. Jetzt kam es mit dem anspruchsvollen 60-MPix-Topmodell Sony A7R V zum Einsatz – aber die Zusammenfassung gilt immer noch: „Das 50 mm liefert schon bei ganz offener Blende top Auflösung und Kontrast, ab Blende 1,8 bis in die äußersten Ecken. Weder Vignettierung noch Verzeichnung noch Farbsäume spielen eine Rolle. Gegenlicht ist kein Problem. Das Bokeh ist samtig. Alles in allem: Das ist spitze.“ Die damalige Note „Exzellent“ wurde in Bamberg bestätigt.
TEXT + ALLE BILDER © HERBERT KASPAR
ES IST UNTERSAGT, FOTOS DIE AUF DIESER SEITE GEZEIGT WERDEN FÜR DAS TRAINING VON KI ZU VERWENDEN







